Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

Jesaja 5 - Der Weinberg Gottes (März 2014)

 

Laubhüttenfest, 740 v. Chr. Mild liegt Jerusalem im Licht der Oktobersonne. Die Menschen strömen zum Tempel. Ihre Hände sind noch voller Schwielen von der Arbeit auf den Feldern und in den Weinbergen. Aber: Die Ernte ist eingefahren. Grund zum Feiern, Gott zu loben.
Der Oberpriester Uria beginnt mit der Liturgie im Gottesdienst:

„Hört, Gott hat euch erwählt. Er ist unser Freund. Er hat mit uns einen Bund geschlossen. Und was das Land als Ertrag gibt, die Ernte, das ist das Zeichen seiner Liebe.“

Und das Volk antwortet:

„Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewig.“

Am Ende der Liturgie singt das Volk:

„Großer Gott wir loben dich, Herr wir preisen deine Stärke.“

Zum Abschluss des Gottesdienstes fordert der Oberpriester Uria das Volk auf:

„Seid fröhlich! Wohnt wie jedes Jahr zu diesem Fest in Laubhütten zum Zeichen der Erinnerung, das Gott uns aus Ägypten durch die Wüste in dieses Land geführt hat.“

Und das Volk antwortet:

„Ja, wir wollen in Laubhütten wohnen zum Zeichen der Erinnerung an die Güte Gottes.“

Dann wenden sich alle Augen nach Süden zum Tor des Tempelplatzes. Denn es ist so üblich, dass nun ein Sänger auftritt, der mit einem fröhlichen Lied zur allgemeinen Fröhlichkeit überleitet.
Und da geschieht es.

Saitenklänge sind zu hören. Aber – aus dem Norden, vom anderen Ende des Tempelplatzes. Überrascht drehen sich die Menschen um. Sie sehen den Prophet Jesaja mit seiner Gitarre. Der wieder ...

Doch Jesaja beginnt mit wohlklingender Stimme eine fröhliche Melodie zu singen.

„Singen will ich von meinem Freund, das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg.“

Freudiges, erleichtertes Gemurmel unter den Zuhörerinnen und Zuhörern. Ein Liebeslied! Keine neue Provokation, wie sie es von Jesaja gewohnt sind. Der singt weiter:

„Einen Weinberg hatte mein Geliebter, oben am Hügel, auf gutem Boden. Und er grub ihn um und säuberte ihn von Steinen und bepflanzte ihn mit Edelreben. Er baute einen Wachturm in seine Mitte und hieb auch eine Kelter darin aus. Dann hoffte er, dass er Trauben bringe.“

Die Zuhörer sind angetan. Einer schreit: „Edelreben hat er gepflanzt! Das wird ein Wein!“

Jesaja singt weiter, nicht mehr ganz so fröhlich und beschwingt:

„Doch: Er brachte nichts als faule Beeren.“

Enttäuschung macht sich breit. „Wie können Edelreben saure Trauben bringen? Rausreißen würde ich die Pflanzen! Das ganze Geld verschwendet, alle Arbeit umsonst!“

Jesaja wartet, bis alle wieder still sind. Dann schlägt er auf seiner Gitarre ernste Töne an. Langsam und eindringlich fordert er auf:

„Und nun, Bewohner von Jerusalem und Männer von Juda: Seid jetzt Richter zwischen mir und meinem Weinberg!“

Und nach einem kurzen Zwischenspiel fährt Jesaja fort:

„Was war an meinem Weinberg noch zu tun, und ich hätte es nicht an ihm getan? Warum habe ich erwartet, dass er Trauben bringe, und er brachte schlechte Beeren?“

„Du hast alles getan!“ tönt es aus der Menge. „Du hast keine Schuld. Der Weinberg allein ist schuld.“

Jesajas Gesicht ist bleich geworden. Kein Ton kommt mehr von der Gitarre. Er lässt die Arme hängen, wartet, bis wieder Ruhe ist. Dann sagt er:

„Nun, so will ich euch mitteilen, was ich mit meinem Weinberg tun werde:
Seinen Zaun will ich entfernen, dass er abgeweidet wird,
seine Mauer niederreißen, dass er zertreten wird.
Ich werde ihn zur Wüstenei machen.
Er soll nicht beschnitten und nicht behackt werden,
dann geht er in Dornen und Disteln auf.“

Erwartungsvoll schaut Jesaja in die Menge.

„Ja, ja, das hat er verdient! Das ist auch unsere Meinung!“

Jesaja fährt fort:

„Und ich will den Wolken befehlen, dass sie keinen Regen mehr auf ihn regnen lassen.“

Es dauert einen Augenblick, bis sich die Menge von der Verblüffung erholt. Dann erhebt sich Gemurmel:

„Was hat er gesagt? Die Wolken sollen nicht mehr regnen? Das kann doch nur Gott sagen. Ich dachte, Jesaja spricht von sich – aber ... Er sprach von Gott!“

Langsam dämmert es den Menschen auf dem Tempelplatz: Sie sind mit dem Weinberg gemeint. Sie haben sich selbst das Urteil gesprochen. Als Jesaja von den Edelreben sprach, meinte er die Bewohnerinnen und Bewohner Judas und Jerusalems. Sie waren es, die undankbar gewesen waren.

Betretenes Schweigen breitet sich aus. Manch einer blickte feindselig auf Jesaja. Doch der ist noch nicht fertig:

„Denn:
Der Weinberg Gottes ist das Haus Israel und die Leute von von Juda sind Pflanzen zur Freude Gottes.
Und er hoffte auf Rechtsspruch,
doch siehe da: Rechtsbruch!
Er hoffte auf Gerechtigkeit,
doch siehe da: Schlechtigkeit!
Er hoffte auf Gutregiment,
doch siehe da:Blutregimet!“

Damit endet die Geschichte aus dem Jahr 740 v. Chr. Sie steht im Buch Jesaja in Kapitel 5 und ist der heutige Predigttext.

Eins ist mir beim Lesen und Nachdenken gleich aufgefallen:
Wir stimmen da schnell zu. Es gibt Ungerechtigkeit und Rechtsbruch allerorten. Unsere Politikerinnen und Politiker handeln ungerecht und machen sclechte Gesetze, die Wirtschaftsbosse wirtschaften in die eigene Tasche. Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen, so ist vielfach das Volksempfinden.

Doch eins übersehe ich, wenn ich so denke und empfinde: Jesaja klagt nicht die Mächtigen und Reichen an. Er spricht zum ganzen Volk Israel: „Der Weinberg Gottes ist das Haus Israel und die Leute von von Juda sind Pflanzen zur Freude Gottes.“

Das passt nicht zu unserem Empfinden, ich sag es ehrlich, es passt auch nicht zu meinem Empfinden und übrigens auch nicht zum Gefühl der Menschen in Jerusalem und Juda. Sie alle, wir alle sind verantwortlich für Rechtsbrüche und Ungerechtigkeiten, ja, für das Blut, dass an vielen politischen Entscheidungen klebt?

Gut, Gott will Gerechtigkeit und er ist empört über die Ungerechtigkeit im alten Israel und auch bei uns. Ich versuche es mal in unsere Zeit zu übersetzen:

- Gott will, dass wir unsere Steuern zahlen und gemeinsam das Gemeinwohl finanzieren. Er ist empört über Steuerhinterziehung, nicht nur bei Uli Hoeneß.

- Gott will, dass Menschen wertschätzend und freundlich miteinander umgehen. Er ist empört darüber, dass Frauen benachteiligt, unterdrückt und von Männern verprügelt werden. Jede dritte Frau in Deutschland soll bereits Gewalterfahrungen in ihrem Leben gemacht haben.

- Gott will, dass jede und jede die Gaben entfalten kann, die er uns mitgegeben hat. Er ist empört über Benachteiligungen von Kindern aus sogenannten sozialschwachen Verhältnissen, die weniger gute Bildungschancen haben.

- Gott will, das den Opfern von Krieg und Vertreibungen, den Flüchtlingen und Asylbewerberinnen bzw. -bewerben geholfen wird. Er ist empört über Ausgrenzung und Egoismus.

Die Liste lässt sich lange fortsetzen. Und für jede dieser Ungerechtigkeiten finde ich biblische Stellen, in denen Gott sich sehr klar äußert. Alles also richtig, aber:

Die Gefahr, die ich bei mir selber beobachte: Das führt schnell zu Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit. Die Anderen sind die Bösen, die Politiker, die Wirtschaftsbosse, die Millionenzocker, mein gegen Asylanten hetzender Nachbar. Ich aber bin nicht so.

Und hier gilt es die Botschaft der Passionszeit zu hören. Jesus kam nicht ans Kreuz, weil sich einige Menschen Menschen besonders böse verhalten haben. Nein, er kam ans Kreuz, weil sich die Menschen in den Erzählungen der Leidensgeschichte Jesu so verhalten wie Menschen sich immer und überall verhalten. Egoistisch. Überheblich. Feige. Dumm. Kurzsichtig. Ängstlich. Egal ob Petrus, Judas, Herodes oder Pilatus. Nichts Besonderes, ganz und gar – menschlich.

Ja, manche Menschen stehen in Situationen, in denen ihre Entscheidungen oder Handlungen Auswirkungen auf ganz viele andere Menschen haben, Könige eben, oder Kanzlerinnen und Präsidenten. Aber zwischen mir und Frau Merkel gibt es keinen Quantensprung, sie verhält sich nicht unmenschlicher, nur weil sie Kanzlerin ist. Und jede unserer Handlungen, die guten wie die bösen, wirken sich auf andere aus, in der Familie, in der Ehe, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, auf dem Sportplatz im Stadtrat und Presbyterium und so weiter. Und auch wenn es sich für uns so anfühlt, es gibt nicht eine unsichtbare Grenze zwischen oben und unten. Es gibt vielleicht mehr Macht und größere Auswirkungen und vielleicht mehr Verantwortung, aber ansonsten keine Unterschiede.

Und ich glaube, auch Jesaja sieht dies. Deswegen spricht er das ganze Volk, die ganzen Leute an. Ihr Menschen von Israel, Leute von Juda. Oder: Ihr Menschen von Deutschland, Leute am Niederrhein. Gott will schon, so Jesaja, dass Ungerechtigkeit benannt wird. Aber er will zugleich, dass diejenigen, die hier aufstehen und reden und handeln sich ihrer eigenen Verstrickungen, ihrer eigenen Menschlichkeit bewusst sind. Gott hofft auf Worte und Taten gegen Ungerechtigkeit. Aber nicht von oben herab. Nein, eingeladen und aufgefordert sind wir, auf Augenhöhe einander zu begegnen, auch im Einsatz gegen Ungerechtigkeit. Scharfe Worte darf es geben, keine Frage. Aber die Haltung ist entscheidend. Eine Haltung, die eben weiß: Nicht die besonders Bösen haben Jesus ans Kreuz gebracht, sondern wir alle. Für uns alle ist er gestorben. Gott sei Dank!
Amen.